Wirtschaft vor Moral
Als Griechenland im Jahre 2001 der Eurozone beitrat, wurden sowohl von Seiten der griechischen Regierung als auch der EU massive Fehler gemacht. Die griechische Regierung betrog die EU in Bezug auf die Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrages und fälschte mit Hilfe der US-Investmentbank ‚Goldman Sachs‘ Unterlagen über den griechischen Haushalt. Damit erweckte Griechenland den Eindruck, als könne es seine bestehenden Schulden problemlos zurückzahlen. Die EU wiederum hat es versäumt, die Unterlagen kritisch zu hinterfragen und sorgfältig zu prüfen. Daraufhin wurde das Fehlurteil getroffen, dass Griechenland die Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrages erfüllt und der Eurozone beitreten darf, was anschließend auch geschah. Diese Fehler beeinflussen das Leben der griechischen Bevölkerung seit Jahren massiv und eine Änderung dieser Situation ist momentan nicht in Sicht. Es ist das einfache Volk, das die Fehler beider Parteien ausbaden muss – weder die Verantwortlichen der damaligen griechischen Regierung, noch Goldman Sachs oder die damaligen Verantwortlichen der EU wurden oder werden für ihr kriminelles Verhalten bzw. Fehlurteil bestraft.
Die Folgen für den Euro und damit der gesamten Wirtschaft in Europa sind weitreichend und unabsehbar, sodass der illegal zustande gekommene Vertrag zwischen Griechenland und der EU nicht so einfach aufgelöst oder für ungültig erklärt werden kann. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sich Finanzminister Schäuble vehement gegen den sogenannten ‚Grexit‘ ausgesprochen. Das Risiko für die europäische Wirtschaft ist zu groß, um aufs geradewohl zu versuchen, die Krise mit einem Grexit zu beenden. Doch bleibt allen Beteiligten eine andere Wahl?
In der Theorie kann Griechenland nur aus der Krise kommen, wenn eine Mischung aus Sparmaßnahmen und langfristig angelegten Reformen, die die griechische Wirtschaft ankurbeln, umgesetzt werden – verknüpft mit einem Schuldenschnitt, über dessen Höhe sich Wirtschaftsexperten streiten können. In der Praxis sollte es unsere humanitäre Pflicht sein, wirtschaftliche Überlegungen hinter menschliche Belange zurückzustellen. Denn was sagt es über unsere Moral aus, wenn wir die griechische Bevölkerung mit strengen Sparauflagen ins Elend treiben, nur um die Wirtschaft zu retten? Die Wirtschaft ist kein Selbstzweck. Für die europäische Wirtschaft gilt das ganz besonders. Als Wertegemeinschaft muss sie ebenjene Werte im Blick behalten, für die sie gegründet wurde und einstehen will. Fragt man die europäische Bevölkerung, sind dies Menschenrechte (38%), Demokratie (38%) und Frieden (35%). [1] Ob die Menschenrechte, wie z.B. das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard und den besten erreichbaren Gesundheitszustand [2] bei solch harten Sparauflagen in Griechenland noch eingehalten werden können, darf bezweifelt werden. Schon längst ist die medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht mehr sichergestellt und der Lebensstandard vieler Griechen kann als unangemessen angesehen werden [3]. Doch die EU schafft es noch immer nicht, die aus moralischer Sicht richtigen Prioritäten zu setzen und denjenigen zu helfen, die wirklich Hilfe brauchen. Hilfe brauchen nicht die roten Zahlen des griechischen Haushalts. Hilfe braucht das griechische Volk, das verarmt und krank um seine Existenz fürchtet. Wirtschaft und Politik sollten sich vor allem anderen um eines drehen: um die Menschen, für die das System eigentlich gedacht ist. Doch hier versagt Europa als Wertegemeinschaft bislang. |von Stefan Seefeldt
Quellen:
[1] Quelle: Europäische Kommission: Eurobarometer 74, Februar 2011. Bundeszentrale für politische Bildung, 2012.
[2] International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, Art. 11 und 12.
[3] http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-07/griechenland-humanitaer.