Vieraugengespräch Zum Thema Gehört der Islam zu Deutschland?

Gehört der Islam zu Deutschland?

makunin Frauen mit Kopftuch

In einem Interview mit der BILD sagte Horst Seehofer im März 2018: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.” Deutschland sei durch das Christentum geprägt. Dazu gehören der freie Sonntag, kirchliche Feiertage und Rituale wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten. Der damalige CSU-Chef und heutige Innenminister ergänzt: „Die bei uns lebenden Muslime gehören aber selbstverständlich zu Deutschland. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir deswegen aus falscher Rücksichtnahme unsere landestypischen Gebräuche aufgeben.”[1]
Seehofer erhielt auf seine Aussagen sowohl Zustimmung als auch Ablehnung. Er befeuerte die Debatte um die Integration muslimischer Menschen. Doch inwiefern treiben Seehofers Aussagen die Debatte konstruktiv voran?
Dass Seehofer die Prägung und Tradition Deutschlands benennt und vom Islam abgrenzt, ist zunächst einmal richtig. In Form von Feiertagen gehört ausschließlich das Christentum zu Deutschland, weil es keine anderen religiösen Feiertage bei uns gibt. Zudem gehört es zu einer konstruktiven Debatte dazu, auf Unterschiede hinzuweisen und abzugrenzen. Dies sind jedoch die einzigen positiven Aspekte, die man Seehofers Aussage zuschreiben kann.
Die Mehrheit der Gesellschaft wird sich wohl kaum soziologisch oder philosophisch mit der Debatte rund um die Zugehörigkeit des Islams zu unserer deutschen Gesellschaft auseinandersetzen. Für den Alltag der Bevölkerung haben Seehofers Aussagen keinerlei praktischen Nutzen. Es kann also davon ausgegangen werden, dass Seehofer mit seiner Aussage in erster Linie die Gesellschaft spaltet. Der Graben zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen wird damit vergrößert und es wird lediglich zwischen „denen“ und „uns“ unterschieden. Damit ist indirekt eine Abgrenzung vorgenommen. Diese Abgrenzung kann Konsequenzen implizieren, die eine große Tragweite haben könnten. Gehört der Islam nicht zu Deutschland, stellt sich nämlich die Frage, wie Deutschland mit dem Islam umgeht. Ändert sich im Umgang mit dem Islam etwas? Sollte er verboten werden? Oder erhalten Muslime „lediglich“ weniger Rechte in der Ausübung ihrer Religion als andere Religionsgemeinschaften? Wie sich die Beantwortung dieser Fragen mit dem Grundgesetz vereinbaren lässt, müsste Seehofer erklären – vorausgesetzt, er steht zum Grundgesetz in seiner aktuellen Fassung.

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Weiterhin unterstreicht Seehofer im Interview, dass die hier lebenden Muslime zu Deutschland gehören. Diese Aussage erscheint unverständlich, denn es ist nicht klar, wie eine Gruppe von Menschen zu einem Land gehören kann, aber deren Religion nicht, obwohl sie einen wichtigen Teil ihres Lebens ausmacht. Seehofer erklärt seine Aussage nicht. Er bedient lediglich das Gefühl von Antipathie, das einige Menschen in Bezug auf den Islam haben. Gewonnen ist in der Debatte um den Islam damit nichts.
Ein Versuch, die Zugehörigkeit einer Religion zu einem Land zu erklären, könnte wie folgt aussehen: Eine bestimmte Religion ist möglicherweise ein Konglomerat aus Ritualen, bestimmten Weltanschauungen und Werten, aus denen sich Handlungen ergeben – z.B. gegenüber Mitmenschen. Solange all dies dem Deutschen Grundgesetz und anderen deutschen Gesetzen nicht widerspricht, hat es Platz in diesem Land und gehört dann zu Deutschland, wenn es hier Menschen gibt, die dieser Religion angehören und sie ausüben. Eine solche Religion ist mehr oder weniger sichtbar – je nachdem, wie viele Menschen ihr angehören und wie sehr sie von ihren Anhängern nach außen getragen wird. Es wäre also zu diskutieren, ob bestimmte Aspekte von Religionen nicht zu Deutschland gehören, weil sie gegen Gesetze verstoßen. Kulturelle Unterschiede sind von dieser Diskussion ausgenommen, sofern sie keine Rechtsverstöße nach sich ziehen. An dieser Stelle stößt man wohl zum Kern der Debatte vor, weil sich Seehofers Aussage an jene Menschen richtet, die kulturelle Einflüsse durch Andersgläubige oder einfach Menschen aus anderen Kulturkreisen ablehnen. Diese Entscheidung darf man treffen, ohne dadurch zum Nazi zu werden. Welche privaten und politischen Handlungen sich daraus ergeben, ist hingegen in großem Maße eine Frage der Gesinnung. |von Stefan Seefeldt

[1] https://www.tagesschau.de/inland/seehofer-islam-101.html [27.05.2018]

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