Drei Paradigmen der Philosophie
In der Geschichte der Philosophie trifft man auf mindestens drei sogenannte Paradigmen. Ein Paradigma ist durch eine grundsätzliche Denkweise geprägt. Die Philosophen des ersten und ursprünglichen Paradigmas beschäftigten sich z. B. mit der Frage, was die Welt oder das Universum ist. Jede Frage konnte Gegenstand der philosophischen Betrachtung sein, auch wenn Antworten nicht immer möglich waren. Dieses Paradigma bezeichnet man auch als Ontologisches Paradigma.
Viele Jahrhunderte später (um das 16. Jahrhundert) kam es zur erkenntnistheoretischen Wende, ein Paradigmenwechsel, der plötzlich das Individuum in das Zentrum der philosophischen Betrachtung holte. Kann das Individuum die Welt überhaupt in ihrer Realität erkennen? Konstruiert das Gehirn eine eigene Welt? Entgehen bestimmte Dinge der menschlichen Wahrnehmung? Der Gegenstandsbereich der Philosophie wurde durch den Fokus auf das Erkennen massiv verkleinert. Dieses Paradigma bezeichnet man auch als Mentalistisches Paradigma.
Im 20. Jahrhundert kam es zur linguistischen Wende. Man zweifelte nicht mehr nur an unserem Erkenntnisvermögen, sondern auch daran, dass wir adäquat über mögliche Erkenntnisse sprechen können. Können wir Erkenntnisse so versprachlichen, dass diese wahrheitsgemäß konserviert und von anderen Menschen rezipiert werden können? Beeinflusst gar die Sprache das Denken (so sehr), dass nicht nur unser Erkennen, sondern auch unser Denken, das wiederum das Erkennen beeinflusst, beschränkt ist? Der Gegenstandsbereich der Philosophie wurde durch den Fokus auf die Sprache erneut massiv verkleinert. Dieses Paradigma bezeichnet man auch als Linguistisches Paradigma.
Die Sprachphilosophie als Paradigma unserer Zeit
Die durch das linguistische Paradigma entstandene Sprachphilosophie legte den Fokus auf die durch z. B. Mehrdeutigkeit bedingte Mangelhaftigkeit natürlicher Sprache. Sprachphilosophen hatten auch die Zuversicht, eine eindeutige und logische Sprache zu entwickeln, die keine Mehrdeutigkeiten und Missverständnisse zulässt. Exemplarisch ist hier der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein (1889-1951) zu nennen. Das wissenschaftliche Wirken Wittgensteins wird heute in zwei Phasen eingeteilt. Zum einen in die Phase des frühen Wittgensteins, die vom Glauben daran geprägt war, dass es einen objektiven Gehalt von Sprache gebe, der mit logischen Symbolen eindeutig angegeben werden könne. Der späte Wittgenstein wollte davon nichts mehr wissen und negierte seine vorherigen sprachphilosophischen Arbeiten. Stattdessen behauptete er nun, die Bedeutung eines Wortes sei sein Gebrauch in der Sprache. Der Kontext, in dem Sprache gebraucht werde, sei relevant; eine logische, objektive und eindeutige Sprache nicht denkbar.
Wenn heutzutage von einem Berliner die Rede ist, dann können damit sowohl ein süßes Gebäck als auch ein Bürger der Stadt Berlin gemeint sein. Die Bedeutung des Wortes Berliner ist sein Gebrauch in der Sprache. Wer im Ruhrgebiet in einer Bäckerei in die Teilchenauslage blickt und einen Berliner wünscht, meint wahrscheinlich ein süßes Gebäck. John F. Kennedy hingegen wollte mit dem berühmten Ausspruch „Ich bin ein Berliner“ 1963 in Berlin sicherlich nicht symbolisch zum Ausdruck bringen, dass er ein süßes Gebäck sei, sondern ein Bürger Berlins.
Da Sprache in allen Lebensbereichen genutzt wird, ist das Missbrauchspotenzial hoch. Die Schwachstellen von Sprache können gezielt dazu gebraucht werden, Menschen zu manipulieren oder die Wirklichkeit zu verschleiern. Religiöse Texte können so ausgelegt werden, dass sie den persönlichen Absichten entsprechen. Die historischen Kontexte, in denen die sprachlichen Texte vor Jahrtausenden produziert wurden, sind für uns kaum einsehbar. Auch in der Wissenschaft kommt es nicht selten vor, dass die Schlechtigkeit von Argumenten verschleiert wird, um die eigene Position zu stärken. In der Politik will man mit der Umbennenung des Kriegsministeriums zum Verteidigungsministerium negative Gefühle bei der Bevölkerung verhindern, ohne dass sich am Ministerium selbst etwas verändert hat. Sprache kann aber auch unbeabsichtigt zu Missverständnissen führen. Dies erleben wir häufig in privaten Diskussionen, wenn wir das Gefühl haben, dass uns der Gesprächspartner nicht versteht.
Sollen wir deswegen aufhören, Sprache zu nutzen? Sicherlicht nicht. Wir sollten aber an die Schwierigkeiten und Probleme im Zusammenhang mit Sprache denken, damit Manipulationsversuche seltener erfolgreich sind. Wir sollten uns Zeit dafür nehmen, Erkenntnisse möglichst adäquat zu versprachlichen, damit andere überhaupt die Chance haben, die intendierte Bedeutung nachvollziehen zu können. Grundsätzlich sollten wir ein Gefühl dafür entwickeln, dass es keine objektive Bedeutung von sprachlichen Äußerungen gibt. |von Can Keke