Vieraugengespräch Zum Thema Umweltschutz und Freiheit = Widerspruch?

Umweltschutz und Freiheit = Widerspruch?

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Immer mehr Menschen vertreten die Ansicht, dass eine Reduktion des weltweiten Ausstoßes von Kohlenstoffdioxid nötig sei, um den Planeten und unsere Existenz zu sichern. Diese Ansicht wird gestützt von einer Vielzahl seriöser wissenschaftlicher Publikationen. Dennoch fällt es uns in der Regel nicht leicht, dieser Überzeugung entsprechend zu handeln. Nur wenige Menschen verzichten zugunsten der Umwelt auf Flugreisen. Ist Umweltschutz mit der westlichen, modernen Vorstellung von Freiheit, wie sie sich etwa in einer Flugreise manifestiert, vereinbar?

„Körperreinigung ist zweimal die Woche erlaubt. Auf niedrige Wassertemperaturen ist zu achten. Die Seife muss, wenn überhaupt, sparsam genutzt werden. Das Handtuch sollte erst dann gewaschen werden, wenn sich ein wahrnehmbarer, unangenehmer Geruch bildet. Auf künstliche Duftstoffe und andere Kosmetika muss verzichtet werden. Der Verzehr von exotischen Nahrungsmitteln (z. B. Aubergine, Avocado) oder Fleisch ist untersagt. Statt der Heizung ist warme Naturkleidung und Bettwäsche zu nutzen. Jedweder Konsum, der nicht der Lebenserhaltung dient, ist zu vermeiden.“

Satirische Anleitung zum umweltbewussten Leben

Es gibt Handlungsgebote für den Umweltschutz, die sich strenger anhören als etwa die Verhaltensregeln im Zuchthaus, insbesondere dann, wenn zur gleichen Zeit besonders viele solcher Gebote zu befolgen sind. Die fünfte Folge des Vieraugengesprächs hört auf den Namen Richtig leben – sind wir damit überfordert? (05/2015) und ist aktueller denn je. Auch haben wir der ersten Folge unseres Video-Ablegers die Überschrift Freiheit durch Freiheitsbeschränkung (02/2016) gegeben. Richtig leben schränkt unsere Freiheiten ein. Und doch sind es gerade viele Freiheitsbeschränkungen, die unabdingbar für die Existenz von gewollten Freiheiten sind.

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Freiheit durch Freiheitsbeschränkung

Wir lassen uns auf Beschränkungen ein, weil wir dadurch Sicherheiten gewinnen. Unser Rechtssystem ist primär ein System der Verbote, und die Gesetze, die unser Verhalten regeln sollen, nehmen stetig zu. Linksextremisten fordern ein anarchistisches System, das ohne Staatsapparat, dafür aber mit vielen Freiheiten auskommt. Ganz frei von Normen sind aber auch anarchistische Modelle in der Praxis nicht. Denn auch wenn es uns nicht immer bewusst ist, stehen fast alle Menschen (leider nicht alle) für ein allgemeines, ganz basales Tötungsverbot ein. Dieses Verbot stellt eine große Freiheitsbeschränkung für z. B. denjenigen dar, der spontan töten möchte, um sich Vorteile zu verschaffen oder seinen Emotionen eine Projektionsfläche zu bieten.

Das Tötungsverbot verschafft uns, obwohl es eine Freiheitsbeschränkung ist, viele neue Freiheiten: Wir können uns auf die Gestaltung unserer Leben konzentrieren und müssen nicht in permanenter Angst leben, dass wir oder uns nahestehende Menschen getötet werden. Wir müssen nur wenige Ressourcen einsetzen, um Leben zu schützen, und können viele Ressourcen dazu nutzen, uns zu verwirklichen. Das deutsche Sozialsystem schützt uns auch dann, wenn wir krank werden. Dafür müssen wir jedoch Geld an die Krankenkasse abgeben; Geld, das wir ansonsten für unsere Vergnügung nutzen könnten.

Freiheiten setzen die Existenz des Planeten Erde voraus

Der Planet Erde füllt sich immer weiter. Der Mensch verdrängt Arten, verunreinigt sein Trinkwasser, frisst alles, was nicht bei drei auf den gerodeten Bäumen ist. Wenn ein einziger Mensch das macht, hat das kaum Auswirkungen. Wenn Milliarden Menschen dies tun, ist die Zukunft des Planeten in Gefahr. Die Erde ist nicht bloß ein ästhetisches Naturschauspiel, sie ist unser Lebensraum und damit Grundlage für alles das, was wir sind und tun. Die Erde ist der Raum, in dem die Freiheiten des Menschen überhaupt erst anfangen können zu existieren. Wir müssen uns um den Planeten sorgen. Jedes andere Thema muss sich hintenanstellen.

Umweltschutz fällt uns dann besonders leicht, wenn die Freiheit nicht oder kaum eingeschränkt wird. Wir können auf den Pappbecher-to-go verzichten, weil wir dann unseren viel schöneren Mehrwegbecher nutzen können, und gleichzeitig unserem Gewissen und anderen Menschen präsentieren können, wie moralisch wir handeln. Aber wollen wir wirklich auf unsere Flugreise ins Ausland verzichten? Wollen wir wirklich auf Sport verzichten, weil wir uns danach umweltunfreundlich duschen und die Sportkleidung waschen müssen? Wollen wir auf die leckere Avocado oder gebratene Aubergine verzichten, weil sie eingeflogen werden muss? Möchten wir unsere Motorradtouren bei schönstem Sonnenwetter für immer ausfallen lassen? Ist das Lebensgefühl ein anderes, wenn wir uns zum Glas Leitungswasser treffen und die Flasche Spätburgunder im Supermarkt stehen lassen?

Menschen können nicht auf alle Freiheiten verzichten

Wer behauptet, dass Umweltschutz nicht nötig ist, irrt. Wer nicht sieht, dass es Menschen überfordert, auf viele Freiheiten zu verzichten, ist blind. Jeder kann der Umwelt zuliebe relativ einfach auf einige Freiheiten verzichten. Jeder kann und muss sein Bewusstsein für die Schädlichkeit seines Handelns schärfen und abwägen, ob eine Freiheit lohnenswert genug ist, um die Umwelt zu schädigen. Für viele Freiheiten gibt es noch keine umweltfreundlichen Alternativen. Wollen wir die Umwelt retten, dann müssen wir uns in einigen Dingen in Verzicht üben (auch um glaubwürdig den Umweltschutz einzufordern und ein Vorbild für Kinder zu sein). Für andere Dinge brauchen wir umweltverträgliche, klimaneutrale Alternativen. Hier ist insbesondere die Politik gefragt.

Die Regierung hat etwa verschlafen, die Entwicklung neuer Antriebstechnologien für Automobile zu stärken. Die Autolobby konnte lange Zeit verhindern, dass an die Realität angepasste Abgastests eingesetzt werden. Die Bevölkerung trennt bereits fleißig Müll, die Politik tut jedoch zu wenig dafür, dass dieser Müll tatsächlich recycelt (und nicht bloß verbrannt oder ins Ausland exportiert) wird. Vor noch nicht allzu langer Zeit beteuerten u. a. Konservative stets, wir kämen nicht ohne Atomkraftwerke aus, wir müssten Strom aus dem Ausland einkaufen, wenn wir die Kraftwerke abschalten würden. Die Atomenergie wäre eine Brückentechnologie, die wir bräuchten, solange bis es Alternativen gäbe. In Wirklichkeit unterdrückte die Brückentechnologie die Entwicklung erneuerbarer, risikoarmer und umweltfreundlicher Erzeugungsmethoden für Energie. Die Abschaltung diverser Atomkraftwerke infolge des Unglücks in Fukushima wurde zum wichtigen Motor für die Entwicklung klimafreundlicher Kraftwerke. Davon unabhängig müssen Methoden diskutiert und umgesetzt werden, die das weltweite Bevölkerungswachstum deutlich reduzieren. Denn nicht nur das, was der Mensch macht oder unterlässt, hat Einfluss auf das Klima; auch die Anzahl der Menschen, die machen oder unterlassen, hat einen solchen Einfluss.

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Konklusion

Der Planet Erde ist die Grundlage unserer Freiheit. Für diese Freiheit lohnt es sich, ein Bewusstsein für den Umweltschutz zu entwickeln und auf bestimmte alltägliche Freiheiten zu verzichten. Man kann von Menschen nicht erwarten, dass sie auf alle relevanten Freiheiten verzichten. Stattdessen muss sich die Politik in der Pflicht sehen, klimafreundliche Alternativen für eine große Anzahl an Freiheiten massiv zu fördern (etwa durch Recycling, erneuerbare Energien, moderne Antriebstechnologien) und ein mögliches geringeres Wirtschaftswachstum in Kauf zu nehmen. Darüber hinaus muss sie sich für eine Verringerung des weltweiten Bevölkerungswachstums einsetzen. Nur in dieser Kombination ist eine umweltfreundliche Zukunft denkbar. Dann sind Umweltschutz und Freiheit kein Widerspruch.
|von Can Keke

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