Vieraugengespräch Zum Thema Gibt es eine beziehungsunfähige Generation?

Gibt es eine beziehungsunfähige Generation?

Ehepaar

Die meisten Menschen glauben noch an die große Liebe fürs Leben. [1] Gleichzeitig behaupten immer mehr Menschen von sich selbst, beziehungsunfähig zu sein. Tatsächlich gibt es immer mehr Single-Haushalte: Gab es im Jahr 1991 noch 11,68 Millionen Haushalte alleinstehender Menschen, waren es 2015 schon 16,87 Millionen. Dabei steigt die Zahl männlicher Single-Haushalte überproportional an. [2] Die meisten Liebesbeziehungen gehen irgendwann in die Brüche. Gleichzeitig blicken viele von uns – während sie die Beziehungsunfähigkeit einer ganzen Genreration diagnostizieren – romantisierend auf längst vergangene Jahrzehnte. Damals waren Beziehungen langlebig und endeten frühestens mit dem Tod. Das waren schöne Zeiten.

ehepaarDie Psychologin Stefanie Stahl widerspricht dieser Wahrnehmung. Beziehungsprobleme seien heute lediglich sichtbarer als damals. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch ein Paar zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht selten umfangreiche Probleme hatte. Diese Probleme wurden jedoch weniger nach außen getragen, und eine Trennung stand aufgrund diverser (z. B. finanzieller) Abhängigkeiten nicht ernsthaft zur Debatte. Ob die Liebe in solchen Beziehungen immer eine primäre Rolle spielte, bleibt also offen. Laut Stahl bleibt der Anteil an Menschen mit „unsicherem Beziehungsstil“ bei 30 bis 40 Prozent konstant. Es gebe keine „Generation Beziehungsunfähig“. Stattdessen seien die Probleme von Menschen mit unsicherem Beziehungsstil in – während der frühen Kindheit gelernten – Glaubenssätzen zu suchen. Ein vermindertes Selbstwertgefühl, das sich bereits in frühen Lebensjahren entwickelt hat, kann ein Grund für Probleme mit Beziehungen im späteren Alter sein. Das Lernen neuer Glaubenssätze (im Rahmen einer Therapie) könne helfen, einen sichereren Beziehungsstil zu entwickeln. [3]

Und was ist nun mit den immer mehr werdenden Single-Haushalten? Ein Grund hierfür könnte in einem anderen statistischen Ergebnis zu finden sein: Das Heiratsalter steigt immer weiter an. Heiratete man 1991 im Schnitt mit 28,5 Jahren, ist man im Jahr 2014 bereits 33,7 Jahre alt. Menschen binden sich erst später an einen Partner, und leben demnach häufig auch länger in der eigenen Single-Wohnung. Auch die durchschnittliche Ehedauer geschiedener Paare stieg um ein Jahr von 13,7 (2014) auf 14,7 Jahre [2]. Paare geben sich und ihrer Beziehung also mehr Zeit, Probleme zu lösen.

Beziehungsprobleme gab es immer und wird es auch weiterhin geben. Dass es heute eine sogenannte „Generation Beziehungsunfähig“ gibt, ist unwahrscheinlich. Stattdessen ist anzunehmen, dass Beziehungsprobleme heute sichtbarer werden. Unglückliche Beziehungen werden heutzutage aufgelöst, was in früheren Zeiten aufgrund größerer Abhängigkeiten hinsichtlich des Partners und der bedeutenderen Rolle von religiöser Moral nicht so einfach möglich war. |von Can Keke

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[1]: Glaube an Liebe fürs Leben: 72% ja, 14% nein. (Statista.com)
[2]: Vgl. Statista.com
[3]: Vgl. Interview mit Stefanie Stahl auf Parship.de: https://www.parship.de/editorial/mission/blog/generation-beziehungsunfaehig/

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