Wenig Angst vor dem Tod – aber große Angst vor dem Sterben
Viele Menschen haben keine oder nur wenig Angst vor dem Tod. Einige mögen vermuten, dass sie danach vielleicht als Ameise oder erneut als Mensch wiedergeboren werden. Andere erwarten den Aufstieg in das Paradies oder den Abstieg in die Hölle. Nicht zuletzt gibt es auch diejenigen, die mit dem Glauben leben, dass ihre persönliche Existenz mit dem Tod für immer endet. Aber ganz unabhängig davon, was uns nach dem Tod tatsächlich erwartet, sind die Ängste vieler Menschen bedeutend größer, wenn es um das Sterben, also den Prozess oder Übergang vom Leben zum Tod, geht. Letztlich will jeder in Würde sterben, und keine Qualen erleiden müssen. Den Tod verbinden wir an sich nicht mit Qualen, wenn wir nicht ernsthaft davon ausgehen, in die Hölle zu kommen. Und wir haben auch deswegen weniger Angst vor ihm. Wenn wir davon ausgehen könnten, dass der Sterbeprozess ebenso wenig Leid mit sich bringen würde, dann wäre auch hier die Angst höchstwahrscheinlich gemildert.
Moderne Palliativmedizin
Den Tod können wir nicht verhindern, ein unnötig leidvolles Sterben hingegen schon. Eine Möglichkeit, das Leiden zu mindern, stellen palliativmedizinische Behandlungen in einem Krankenhaus oder Hospiz dar. In Hospizen ist es für sterbende Menschen möglich, auf weitestgehend schmerzlose Art und Weise behandelt und gepflegt zu werden, bis der Tod eintritt. Moderne Methoden ermöglichen dem Patienten dabei sogar ein lebenswertes Leben, welches nicht bloß ein Warten auf den Tod darstellt. Die Gründung des ersten Hospizes in Deutschland liegt dabei noch gar nicht lange zurück: Im Jahr 1986 war das. Heute gibt es bereits an vielen Orten Hospize oder ambulante Dienste. Es ist davon auszugehen, dass das Angebot weiter wachsen wird und in Zukunft im Idealfall jedem Sterbenden, der es nutzen möchte, zur Verfügung steht.
Der Wunsch zu sterben
Trotz palliativmedizinischer Angebote kann ein sterbenskranker Patient aus verschiedenen Gründen den Wunsch entwickeln, sterben zu wollen. Ein Grund könnte sein, dass der Patient wegen spezieller Erkrankungen auch mit palliativmedizinischen Behandlungen kein Leben in Würde mehr führen kann. Zwar können Symptome wie Schmerzen oder Übelkeit heutzutage gut mit Medikamenten behandelt werden, allerdings kann ein umfangreiches Leiden, welches z. B. durch Gehirnschäden bedingt wird, trotzdem bestehen bleiben. Es gibt keine Garantie, dass jedem sterbenskranken Patienten mit entsprechender Pflege ein lebenswertes restliches Leben ermöglicht werden kann. Ob ein Leben als lebenswert beschrieben wird, resultiert aus der subjektiven Wahrnehmung des Patienten. Es gibt keinen objektiven Maßstab, der ein lebenswertes Leben unabhängig von der Subjektivität des Betroffenen diagnostizieren kann.
Beihilfe zum Suizid durch Ärzte oder Angehörige
Bisher war es in Deutschland erlaubt, einem Menschen, der Suizid begehen möchte, in seinem Vorhaben zu unterstützen. Das hat im Vergleich zu einem Verbot gleich mehrere Vorteile: Ein Mensch mit Sterbewunsch kann sich an Angehörige oder Ärzte wenden, um mit ihnen offen über den eigenen Wunsch zu sprechen. Oftmals können durch diese offenen Gespräche Suizidgedanken beseitigt werden. Falls der Wunsch dennoch bestehen bleibt, können humane Methoden in Betracht gezogen werden, die der Patient nur durch die Hilfe anderer Menschen für sein Vorhaben nutzen kann. Z. B. ist es für den Patienten angenehmer, durch die Folgen einer Schmerztherapie zu sterben, als durch den Gebrauch einer Waffe. Gerade deswegen sind Ärzte auch nicht der letzte Ansprechpartner, wenn es um einen schmerzlosen und möglichst wenig schlimmen Suizid geht.
Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe durch den Bundestag
Am 6. November hat der Deutsche Bundestag mehrheitlich für einen Gesetzesentwurf gestimmt, der die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid verbietet. Das bedeutet, dass eine Person dann nicht mehr eine Beihilfe zum Suizid leisten darf, wenn sie dies zu einem dauernden oder wiederkehrenden Bestandteil ihrer Tätigkeit macht, unabhängig von einer Gewinnerzielungsabsicht. Soll heißen: Einem Arzt wird es zukünftig untersagt sein, regelmäßig Beihilfe zum Suizid zu leisten. Man möchte mit dieser Entscheidung insbesondere dem Risiko gerecht werden, dass es Fälle von Sterbewilligen geben könnte, die nur deswegen den Suizidwunsch haben, weil sie von z. B. Angehörigen dazu überredet wurden (z. B. „Es wäre doch für uns alle besser, wenn du Sterbehilfe in Anspruch nehmen würdest“). Ein Verbot geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe verkleinert den Spielraum für einen solchen Missbrauch tatsächlich.
Risiken rechtfertigen das Verbot nur bedingt
Wir leben in einer Welt voller Risiken. Die meisten unserer Entscheidungen sind risikobehaftet. Viele von uns fahren täglich mit dem Auto, obwohl jedes Jahr tausende in Deutschland durch Autounfälle ums Leben kommen. Viele Autofahrer sind sich dieser großen Gefahr möglicherweise noch nicht einmal bewusst. Dennoch unternimmt der Staat nichts dagegen, sondern akzeptiert die Entscheidung der Autofahrer, mit dem Auto zu fahren. Jede Verurteilung durch einen Richter des Staates birgt die Gefahr, dass jemand zu Unrecht ein Leben im Gefängnis verbringen muss. Wir verzichten dennoch nicht auf das Verhängen langer Haftstrafen. Auch hier könnte man dem Angeklagten eingeredet haben, ein Geständnis abzulegen, weil es das Beste für alle wäre.
Im Falle der Suizidbeihilfe jedoch ist scheinbar jedes Risiko ein schwerwiegender Grund für ein grundsätzliches Verbot. Sinnvoller als ein Verbot wäre allerdings eine Erlaubnis der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe bei gleichzeitiger Minimierung des Missbrauchspotenzials durch mehrere Instanzen, die den autonomen Wunsch des Patienten prüfen. Das Leid, das durch ein Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe verursacht wird, ist vermutlich größer als die Gefahr, dass eine Person nur deswegen Suizidbeihilfe in Anspruch nimmt, weil sie durch die Familie manipuliert wurde. |von Can Keke