Ein Kommentar von Stefan Seefeldt
Das Gespräch mit Jannis Steinke über die Forderungen der Queer- und Genderaktivisten in der letzten Ausgabe des Vieraugengesprächs (#6 queer und gender – worum geht es?) war für mich sehr aufschlussreich. Obwohl ich selbst liberal eingestellt bin, hatte ich dennoch einige Vorbehalte gegenüber Anhängern der queer- und Gendercommunity. Das mag damit zusammenhängen, dass ich innerhalb dieser Szene so manch diskriminierendes Gedankengut zu hören bekommen habe. Eine heteronormative Weltsicht, zu der eine klare Rollenverteilung zwischen Frau und Mann gehört, wird als mittelalterlich und primitiv herabgewürdigt. Man bekommt das Gefühl vermittelt, als müsse sich der moderne Mensch im 21. Jahrhundert zwingend über eine solche Weltanschauung erheben und sie ablehnen. Ob sie es zugeben würden oder nicht: einige Queer- und Genderaktivisten vertreten mit Sicherheit eine solch extremistische Meinung, die sie politisch und gesellschaftlich umsetzen möchten.
Ein deutlich gemäßigterer Vertreter der Community ist mein Gesprächspartner Jannis. Er machte deutlich, dass es in der Genderdebatte nicht darum gehe, Menschen ihren Lebensstil abzusprechen. Vielmehr solle man sich ins Gedächtnis rufen, dass gesellschaftliche (nicht biologische!) Vorstellungen von dem, was „männlich“ und „weiblich“ ist, bloß sozial konstruiert und damit prinzipiell wählbar sind. Dass den Haushalt zu erledigen oder Kleider zu tragen den Frauen zugesprochen wird, begründet demnach sich nicht durch die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau, sondern sei lediglich eine Entscheidung von Menschen. Mit der Dekonstruktion dieses Rollenverständnisses solle also Raum für die Möglichkeit geschaffen werden, für sich selbst zu entscheiden, wie man sich verhält und was man tun möchte – unabhängig von den klassischen Rollenvorstellungen. Die Rechte und Möglichkeiten von Menschen, ihr Leben frei und unabhängig führen zu können, sollen erweitert werden, ohne dass man klassische Rollenbilder zwangsläufig aufgeben muss.
Diese Möglichkeiten sollen u.a. mit Hilfe einer gendergerechten Sprache, Ampelfrauen und Unisex-Umkleiden geschaffen werden. Was von vielen als nervige Last empfunden wird, soll also die Rechte von Menschen erweitern – wenn da nicht die Empirie wäre. So ist es z.B. stark umstritten, dass eine gendergerechte Sprache wirklich für Gleichberechtigung von Frauen und Männern in den Köpfen der Menschen sorgt.
Zum einen fühlt sich kaum eine Frau, die nicht Teil der Queer- oder Genderszene ist, durch unsere Sprache diskriminiert. Die allermeisten Frauen denken sich nicht in eine Opferrolle hinein, sondern fühlen sich trotz einer durch das generische Maskulinum beherrschte Sprache in allen Formulierungen mit inbegriffen. Wer entsprechenden Berichten in den großen Medien in diesem Punkt nicht traut, kann die unterschiedlichsten Frauen draußen auf der Straße gerne selbst dazu befragen.
Zum anderen ist unter Philosophen die These umstritten, dass Sprache unser Denken prägt. Menschen, die von Geburt an gehörlos sind und nicht sprechen können, sind in der Lage zu denken und nonverbal zu kommunizieren. Ihre Vorstellungen von sozialer Männlichkeit und Weiblichkeit sind somit gewiss nicht auf die Dominanz des generischen Maskulinums zurückzuführen.
Man könnte an dieser Stelle noch in aller Ausführlichkeit auf andere Forderungen der Gender-Aktivisten eingehen. Allesamt sind sie inhaltlich fragwürdig. Ampelfrauen würden durch ihre weibliche Darstellung die klassische Rollenverteilung unterstreichen, anstatt sie zu dekonstruieren. Unisex-Umkleiden im Schwimmbad würden Menschen diskriminieren, die sich aufgrund religiöser Überzeugungen nicht vor dem anderen Geschlecht entblößen dürfen oder möchten.
Ein Umdenken in den Köpfen der Menschen wird nicht in erster Linie durch eine politisch korrekte Sprache, politisch korrekte Ampeln und politisch korrekte Umkleideräume erzeugt. Toleranz und Gleichberechtigung werden vielmehr durch Vorbilder im Alltag geschaffen. Vorbilder, die einem die Angst vor dem Fremden nehmen, ohne die Ablehnung durch Provokation zu verstärken.
Sowohl Erzkonservative als auch Genderaktivisten sollten sich einen Gedanken zu Herzen nehmen: In unserer Gesellschaft sollte sowohl für eine heteronormative als auch für eine queere Lebensweise Platz sein – aber nur solange man der jeweils anderen Lebensweise mit Respekt begegnet und ihr durch die eigene Entfaltung nicht die Luft zum Atmen nimmt. |von Stefan Seefeldt