Kalt ist es, eiskalt sogar. Das Wasser, in das ich springe, ist gerade noch so warm und flüssig, dass ich mir beim Eintauchen den Kopf nicht aufschlage. Beim Durchdringen der Wasseroberfläche beginnt eine investigative Reise in mindestens zwei Hinsichten. Einerseits begebe ich mich auf die Suche nach einem ganz besonderen Ort mitten in Afrika, Tansania, welcher als Teil der sogenannten Wiege der Menschheit eine spezifische Aura beherbergt. Auf der anderen Seite möchte ich mich selbst finden. Ich möchte wissen, zu welchen Leistungen ich in der Lage bin, welche meiner vielen Ängste ich überwinden kann und ob mein Leben bunter, vielfältiger werden kann. Ich möchte Chancen nutzen, die sich mir bieten. Ich möchte Sorgen zähmen, ihr nicht meine Existenz überlassen.
Ein Projekt, eine einmalige Chance
Es geht um „Projekt:Horizont“: Sechs junge Erwachsene sollen für eine von funk (ARD/ZDF) initiierte dokumentarische Internetserie nach Tansania reisen, den 5895m hohen Kilimandscharo besteigen und sich damit ihrer wohl größten Herausforderung stellen. Dies zumindest stand auf einem Flyer, den ich auf Instagram entdeckte. Adressaten waren potenzielle Protagonisten, also junge Erwachsene mit persönlichen Lebensgeschichten, die sich dieser Aufgabe stellen wollen, um etwas zu ändern, zu bewältigen, zu verarbeiten. Wie cool wäre es doch, wenn ich zu solch einer verrückten Sache einfach mal ja sagen würde. Wie uncool war es doch, dass ich bereits mit dem zweiten Gedanken den ersten wieder verwarf. Niemals würde ich das schaffen, niemals würden meine Ängste zulassen, dass ich genau das tue, vor dem sie mich unbedingt und mit aller Macht bewahren wollten. Schnell war die Sache mit dem Projekt abgehakt, keine weitere Diskussion.
Doch ich merkte, wie ich zunehmend über das Projekt nachdachte, wie sich sukzessive der Gedanke aufbaute, dass es sich dabei um eine einmalige Chance handele. Manchmal muss das Wasser eben eiskalt sein, da reicht kaltes nicht aus. Manchmal muss es absurd sein, damit die sonst so ausdifferenzierten Ängste im Nebel der Absurdität zu einer einzigen großen Angst zusammenschmelzen. Irgendwann wird die Angst nicht mehr größer. Die Summe von Angst und Angst ist Angst. Warum nicht mal diese extreme Form der Konfrontationstherapie auf dem Dach Afrikas probieren? Alles was vorher für mich wichtig schien, rückte in den Hintergrund. Von jetzt an war der Kilimandscharo mein neues Leben, meine nächste Etappe, ich wollte ihn bezwingen, ihn als Therapieschauplatz wählen, als eiskaltes Wasser, in das ich kopfüber hineinstoße, um den Cocktail aus Angst, Depression und Grenzen in einem Akt ausgiebiger Ignoranz zurückzulassen oder zumindest im Wasser bis zur Unkenntlichkeit zu verdünnen.
Achtsamkeit statt Alltagsstrukturen
Das Projekt lehrte mich das Denken in Etappen. Schritt für Schritt zur stetigen Maximierung des persönlichen Erfolgs. Ein Scheitern war schon nach der Landung in Tansania nicht mehr möglich. Denn bereits meine Bereitschaft zur Teilnahme am Projekt und der Flug waren gewonnene Kämpfe gegen meine generalisierenden Ängste. Erfolg knüpfte sich an Erfolg, erstickte jenen inneren Schweinehund, der sonst die gewohnten Alltagsstrukturen etabliert (oder umgekehrt). Nun war es der Moment, den ich achtsam erlebte. Es war der Weg, in den ich mich verliebte. Die Reise und die Besteigung des höchsten Berges in Afrika wurde zu einer leidenschaftlichen Herausforderung, mit Tiefen, aber mit sehr vielen Höhen, wörtlich und übertragen.
Heute kann ich sagen, dass die Besteigung des Kilimandscharos mein Bewusstsein dafür geschärft hat, was und wie wichtig sinnstiftende Elemente im Leben sein können. Der Kilimandscharo war sinnstiftend, er hob das Gefühl von Stillstand auf, ermöglichte eine Entwicklung, machte mein Leben in vielen Hinsichten bunter, erzeugte die Lust auf Abenteuer, gangbaren Herausforderungen. Häufig können wir viel mehr, als wir uns selbst zutrauen. Nirgendwo anders habe ich die Wahrheit dieser Floskel so sehr gespürt wie in Tansania und auf dem Kilimandscharo.
Allen, die etwas in ihrem Leben ändern möchten, kann ich daher nur die Worte mitgeben, die mir mein Hausarzt nach Abschluss aller Beratungen, Untersuchungen und Impfungen zurief:
Ab auf den Berg!
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Wenn Du Dich für meine Reise auf den Kilimandscharo interessierst, besuche den YouTube-Kanal von Projekt:Horizont und höre Dir die aktuelle Folge des Vieraugengesprächs an!