Hätte mir vor fünf Jahren jemand den heutigen Charakter und das heutige Verhalten von Donald Trump und Recep Erdogan beschrieben, dann hätte ich es für nahezu unmöglich gehalten, dass diese Personen an die Macht kommen bzw. ihre Macht halten können. Die Eskalationen in Form von Menschenverachtung und Unprofessionalität überschreiten eine rote Grenze – und zwar die Grenze des Zumutbaren.
Wie kann es möglich sein, dass Erdogan im Zuge des Wahlkampfes für sein Referendum die Oberhäupter anderer Regierungen aufs Übelste beschimpft und beleidigt? Wie kann es möglich sein, dass Trump die Medien diffamiert und gleichzeitig mit Lügen um sich wirft, die an Dreistigkeit und Offensichtlichkeit ihresgleichen suchen? Beide Verhaltensweisen waren mal ein „no go“ in hohen politischen Ämtern und der diplomatische Tod dieser Politiker gewesen. In Zeiten der politischen Korrektheit, in denen man einerseits als toleranter Bürger für jede politisch unkorrekt geäußerte Silbe als Rassist, homophob oder was auch immer beschimpft wird, ist es zumindest ungewöhnlich, dass andererseits auf der politischen Bühne eine seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr dagewesene Maßlosigkeit und Überschreitung der guten Sitten herrscht. Was gute Sitten sind, ist natürlich diskutabel und eigennützig handelnde Politiker, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, gab es schon immer. Doch in den letzten Jahren herrscht eine Beliebigkeit dessen, was man sich als Politiker herausnehmen darf – ohne ernsthafte Konsequenzen, versteht sich.
Doch letztlich sind die Politiker nur ein Abbild unserer Gesellschaft. Ein Trump konnte nur deshalb an die Macht kommen, weil für genügend Wahlberechtigte die Überschreitung der guten Sitten Alltag ist. Erdogan kann sich ein unverschämtes Verhalten gegenüber dem Ausland erlauben, weil er damit genügend Zuspruch von überempfindlichen Türken mit fragwürdigem Ehrgefühl erhält, die durch Erdogan ihre kulturellen Wurzeln mit übertriebener Selbstgefälligkeit zelebrieren können. Eine liberalere Gesellschaft mit wahrlich liberalen Werten würde solche Politiker nicht zulassen.
Doch es fehlen Maß und Mitte auf beiden Seiten des Populismus. Als gemäßigter Bürger muss man sich mittlerweile zwischen radikalen Ideologien entscheiden. Diese Entscheidung fällt momentan zugunsten der Autokratie. |von Stefan Seefeldt