Zu diesem Ergebnis könnte man kommen, wenn man den aktuellen gesellschaftlichen Trend betrachtet. Der Einfluss der Kirche nimmt in Deutschland ab. Die Menschen wollen heutzutage zunehmend ein individuelles und selbstbestimmtes Leben führen. Die Naturwissenschaft ist der Maßstab der Erkenntnis und damit fast selbst schon etwas, wie eine Religion. Denn viele Menschen glauben an sie und ihre Erkenntnisse.
Trotz der Abnahme des kirchlichen Einflusses haben Religionen natürlich positive Eigenschaften. Sie bieten eine Reihe von Werten und Regeln, die den Menschen Orientierung bieten und nach denen sie ihr Leben ausrichten können. Dies stärkt das Gemeinschaftsgefühl und sorgt für ein Gefühl der Sicherheit. Natürlich spielt der Glaube an Gott und das Leben nach dem Tod in der Liturgie und im Leben der Gemeindemitglieder eine wichtige Rolle. Wer einer Religion angehört, wird mit seinem Glauben und ggf. den Zweifeln nicht allein gelassen, sondern erhält spirituelle Unterstützung.
Doch wie eingangs erwähnt, nimmt der Glaube an Gott ab, oder spielt zumindest nur noch eine untergeordnete Rolle im Leben vieler Menschen. Wer noch an Gott glaubt, sieht sich oftmals in der Lage, seinen Glauben an Gott ohne die Kirche bewahren und ausleben zu können. Gleichzeitig sind wir zunehmend in der Lage, die positiven Aspekte einer Religion auch in weltlichen Dingen zu finden. Im Fußballverein, in der Politik, in Vereinen und (Hilfs-)Organisationen erhalten wir ebenfalls ein Gemeinschaftsgefühl und Werte, nach denen wir unser Leben ausrichten und danach handeln können. Je nach Organisationen und Engagement erhält man sogar die Möglichkeit, gute Taten zu vollbringen – manchmal mehr als in einer Kirchengemeinde.
Durch die Befriedigung der Bedürfnisse nach Gemeinschaft, Werten und guten Taten in Vereinen und Organisationen – die manche Menschen gar als eine Art Ersatzreligion betrachten – müssen die Menschen die negativen Aspekte eine Religion nicht mittragen. Die Kirche und ihre Moral haben durch Skandale, diskriminierende/schädliche Lehren und Scheinheiligkeit in den letzten Jahrzehnten an Glaubwürdigkeit verloren. Dieses verkrustete und fragwürdige Konzept der Kirche ist den Menschen nicht egal. Sie lehnen es bewusst ab! Dies erklärt die gestiegene Zahl der Kirchenaustritte in den letzten Jahren. Als die Missbrauchsskandale der katholischen Kirche 2010 ihren Höhepunkt hatten, traten 181.193 Menschen aus der Kirche aus. 2014 waren es sogar 217.716 Menschen.[1] Dazu kommt, dass Eltern ihren Kindern die Lehren der Kirche zunehmend nicht mehr vermitteln, sodass neue Generationen ein evtl. vorhandenes Alleinstellungsmerkmal der Religion nicht mehr kennenlernen.
In der kommenden Folge des Vieraugengesprächs am 10.01.16 werden wir darüber sprechen, ob die Religion überhaupt ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu weltlichen Organisationen besitzt. Was für ein Alleinstellungsmerkmal könnte das sein und warum finden wir es nicht in weltlichen Vereinen und Organisationen? Basierend auf diese Fragen und Überlegungen wollen wir die Frage beantworten, ob der Mensch heutzutage überhaupt noch Religion braucht. Hat Religion ausgedient, weil wir Gemeinschaft und moralische Werte woanders finden und dank der Aufklärung keinen Bedarf an den Glauben an Gott und das Leben nach dem Tod haben? Oder braucht der Mensch noch Religion, weil sie ihm etwas Wichtiges geben kann, das sich woanders nicht finden lässt? |von Stefan Seefeldt
Braucht der Mensch noch Religion?
Sonntag, 10.01.16 ab 12 Uhr als Podcast hier auf der Homepage, auf iTunes und um 19:04 Uhr auf Radio 91.2.
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[1] Quelle: http://www.zeit.de/gesellschaft/2015-07/katholische-kirche-austritte-anstieg [Abgerufen am 06.01.16]